Hat sich jemand ernsthaft Gedanken gemacht, was genau Wissenschaftskommunikation ist? In der Stellungnahme der Akademien heißt es, „Wissenschaftskommunikation wird hier im Sinne einer beständigen und aktiven Information der Öffentlichkeit durch die Forschungseinrichtungen, Universitäten und andere Wissenschaftsorganisationen über Erkenntnisfortschritte der Wissenschaft sowie über deren gesellschaftliche und politische Implikationen verstanden.“ (Hier die ganze Stellungnahme als PDF)
Damit blenden die Akademien einen fundamentalen Teil der Wissenschaftskommunikation aus, nämlich die Kommunikation untereinander: So wie es im Marketing Business to Business-Kommunikation (B2B) gibt, so ist Wissenschaft auf Science to Science-Kommunikation (S2S) ausgerichtet. Sie hat dafür traditionell eigene, zum Teil hermetisch abgeschlossene Formate entwickelt: Fachjournale, deren Texte kaum ein Außenseiter verstehen kann, Konferenzen mit oft ebenso unverständlichen Vorträgen, und Poster, die jedem Kommunikationsprofi die Haare zu Berge stehen lassen.
Daneben hat sich eine Kommunikation entwickelt, die man vielleicht, um Denglisch zu bleiben, mit „S2L“ beschreiben könnte: Science to Lay people, also das, was die Akademien unter „Öffentlichkeit“ fassen. Zum Grundwissen der Kommunikation gehört freilich, dass es „die Öffentlichkeit“ nicht gibt, sondern sehr unterschiedliche Zielgruppen. Das aber ist ein ganz eigenes Fass, das ich hier nicht aufmachen will.
S2S und die Zielgruppenorientierung fehlen beide in der Akademien-Betrachtung, ebenso wie die Rolle der professionellen Kommunikatoren und neue Medien.
Der Grund für den blinden Fleck bei der S2S-Kommunikation liegt vermutlich darin, dass diese Kommunikation als Teil des wissenschaftlichen Prozesses selbst begriffen wird. Das aber geht an den Realitäten doppelt vorbei, weil sich die Wissenschaft geändert hat und weil sich die Rezeption der Öffentlichkeit (wer „die Öffentlichkeit“ nun ist, muss ich später mal verbloggen) geändert hat.
Zur Wissenschaft: Sie hat sich in unzählige Disziplinen und Subdisziplinen aufgeteilt. Zugleich sind in großen Projekten nahezu immer sehr verschiedene Disziplinen vereint: Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms wäre ohne Mathematiker und Informatiker nicht möglich gewesen und in der Klimafolgenforschung spielen die Sozialwissenschaften seit Langem eine wichtige Rolle. Ein ganz persönliches Aha-Erlebnis hatte ich vor mehr als zehn Jahren, als ein Wissenschaftler einer weit entfernten Universität sich bei mir meldete und nach der Originalarbeit fragte, die einer meiner Pressemitteilungen zugrunde lag: Er sagte mir, für ihn sei der Informationsdienst Wissenschaft idw eine wichtige Quelle, um sich über angrenzende oder ihn einfach privat interessierende Disziplinen zu informieren. Kurzum: Die S2S-Kommunikation hat immer auch Elemente der S2L-Kommunikation. Umgekehrt gibt es Rückwirkungen der S2L-Kommunikation auf das System Wissenschaft selbst. So kann missratene S2L-Kommunikation einen Reputationsschaden auslösen und so kann gute S2L-Kommunikation neue Forschungsgebiete erschließen.
Was nun die Rezeption von Kommunikation aus dem System Wissenschaft betrifft, waren es lange Zeit Wissenschaftsjournalistinnen, die Originalarbeiten aufbereiteten oder Kongresse besuchten und davon berichteten. Wenn sie nicht selber aus dem Fach kamen, bedurften sie dafür der Hilfe aus dem System, also eines Expertinnennetzwerks, das sie um Rat fragen konnten. Das ist ein Teil des heute immer noch bestehenden Missverständnisses, wonach Wissenschaftsjournalismus eine Art Übersetzungsdienst sei und damit irgendwie „auf der Seite der Wissenschaft“.
Heute aber gibt es viele Übersetzer mit vielen Foren: Interessensverbände und Lobbyorganisationen zum Beispiel, die Ergebnisse in ihrem Sinne aufbereiten. Wissenschaft ist in einer großen Breite ideologisiert und politisiert wie nie: Klima, Geologie (Fracking, Kohlendioxid-Verpressung), Medizin und Biologie (Stammzellen, Gentechnik, Präimplantationsdiagnostik) und und und.
Außerdem bieten die neuen Medien ganz andere Möglichkeiten, Wissenschaft zu prüfen. Es bilden sich – manchmal spontan, manchmal organisiert – Netzwerke, die Plagiate und Fehlverhalten aufdecken und Mängel in Studien nachweisen. Zwei Beispiele: die „Arsenbakterien“ der NASA (hier ein Kommentar von Lars Fischer) und die Seralini-Studie (ein Blogpost von Martin Ballaschk dazu hier.). In diesen Netzwerken arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftsjournalistinnen oft Hand in Hand mit Bloggerinnen, die irgendwie beides sind: Wissenschaftlerin und Journalistin.
Die Grenzen der S2L- und S2S-Kommunikation sind also fließend geworden, ebenso die Grenzen zwischen den Systemen Journalismus und Wissenschaft. Um so wichtiger ist es, sich ein bisschen genauer als bisher Gedanken zu machen, worüber man sich nun gerade streitet. Unter anderem dazu fahre ich nach Hannover zum Workshop der Volkswagenstiftung. Dazu hat sich auch Reiner Korbmann schon Gedanken gemacht und vier Zurufe formuliert. Schade, dass er nicht dabei sein kann. Wer folgen will: #wowk14
5 Kommentare zu „29.06.14: Was ich bei der Diskussion um Wissenschaftskommunikation vermisse“