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Wie ich einmal eine Edelfeder beeindruckte

Es war Mitte der 1990-er Jahre, ich war neu als Stipendiat bei der Studienstiftung, da habe ich einmal eine Edelfeder beeindruckt. Für die Jüngeren unter meinen Leser:innen muss ich vielleicht erklären, was eine Edelfeder überhaupt ist bzw. war, denn heute sind sie beinahe ausgestorben. Im Journalismus – das war mal ein Beruf wie Bloggen, Podcasten oder Videos Produzieren, aber mit strengeren Regeln und mit Content, der oftmals noch auf dünnem Papier mit riesigen Maschinen ausgedruckt und stückweise vertrieben wurde –, im Journalismus also gab es Fußvolk, zu dem ich gehörte, und es gab Leute (fast nur Männer), die noch viel besser als das Fußvolk formulieren konnten und noch viel klügere Gedanken als das Fußvolk zu Papier brachten. Es gab nur ganz wenige Zeitungen (so hieß das dünne Papier), die solche Menschen beschäftigten, das waren vor allem die FAZ und die ZEIT und die Süddeutsche, und Edelfedern wanderten damals zwischen deren Kulturredaktionen hin und her.

Ich wiederum kam von Kleinstadtredaktionen des Münchner Merkurs und der Landshuter Zeitung als spätentschlossener Student nach Berlin, wo ich dank eines sehr guten Vordiploms (das wäre heute fast so etwas wie ein Bachelor) in die Begabtenförderung der Studienstiftung des Deutschen Volkes aufgenommen wurde. Teil der Förderung waren Seminare, wo ältere Begabtengeförderte uns Jungbegabten Einblicke in die Geheimnisse ihrer Berufe gaben, damit wir auf diese Weise noch mehr be–gabt wurden.

Und also begab es sich, dass der junge Josef eines Abends 1995 oder ’96 einem etwa 50jährigen Herren in schwarzem Rollkragenpullover gegenüberstand. Sein helles Haar reichte seitlich fast bis zum Kragen. In Erinnerung habe ich eine Art Mireille Mathieu (für die Jüngeren: googelt sie halt), nur männlich und weißblond. Tatsächlich zeigen ergoogelte Fotos der Edelfeder mehr so gerade nach unten hängendes Haar, fesch aus der hohen Denkerstirn über die Ohren hinab gescheitelt. Ein schlanker, asketisch wirkender Mann, ein bisschen wie man sich einen Jesuiten vorstellte, aber viel schicker. Das mit dem Jesuiten kann sein, weil er aus dem bischöflichen Cusanuswerk begabt worden war, kann aber auch eine Verklärung meiner Erinnerung sein.

Da stand er also, herabgestiegen aus dem Hamburger Olymp des ZEIT-Feuilletons, und hielt Hof. Ich mittendrin in der Schar männlicher und weiblicher Groupies, sehr viele davon Akademikerkinder und also bewandert in geistreicher Konversation und aktueller Literatur. Bewanderter jedenfalls als ich, der staunende Bauernjunge, Erste-Generation-Studierender und volontierter Kleinstadtzeitungsredakteur für Lokales und Sport. Es gab vermutlich Wein an jenem Abend, aber der heißeste Scheiß damals war Bier: aus der Flasche getrunken, das war cool und anti-Establishment, Punk beinahe. Bier! Damit schlug meine Stunde.

Ich sehe, wie die Edelfeder ein Beck’s in den Händen hält und die Blicke hinter der dünngerahmten Brille schweifen lässt. Kein Öffner! Weder einer in schwarzer Livrée, der das mit der verschlossenen Flasche für den Feuilletonisten erledigt hätte, noch ein blecherner Flaschenöffner. Nichts. Meine Chance! Ich frage beiläufig einen Kommilitonen nach einem Feuerzeug, trete beherzt einen Schritt nach vorne und bitte die Edelfeder um die Flasche. Feuerzeug übers untere Daumenglied gelegt, Kante am Kronkorken angesetzt und „Pffft-Plopp“ den Verschluss abgehebelt. Ich reiche das offene Bier zurück. „Ich bin beeindruckt“, sagt Ulrich Greiner.

Ein Postskriptum: Ausweislich der Wikipedia-Seite ist Herr G. Gastautor bei der Achse des Guten. Wenn euch mein Text gefallen hat, hinterlasst mir ein Herzchen oder einen Kommentar und ich schreibe dann noch ein paar Gedanken auf, warum mich das nicht wundert mit der Achse des Guten.