Wie ich einmal eine Edelfeder beeindruckte

Es war Mitte der 1990-er Jahre, ich war neu als Stipendiat bei der Studienstiftung, da habe ich einmal eine Edelfeder beeindruckt. Für die Jüngeren unter meinen Leser:innen muss ich vielleicht erklären, was eine Edelfeder überhaupt ist bzw. war, denn heute sind sie beinahe ausgestorben. Im Journalismus – das war mal ein Beruf wie Bloggen, Podcasten oder Videos Produzieren, aber mit strengeren Regeln und mit Content, der oftmals noch auf dünnem Papier mit riesigen Maschinen ausgedruckt und stückweise vertrieben wurde –, im Journalismus also gab es Fußvolk, zu dem ich gehörte, und es gab Leute (fast nur Männer), die noch viel besser als das Fußvolk formulieren konnten und noch viel klügere Gedanken als das Fußvolk zu Papier brachten. Es gab nur ganz wenige Zeitungen (so hieß das dünne Papier), die solche Menschen beschäftigten, das waren vor allem die FAZ und die ZEIT und die Süddeutsche, und Edelfedern wanderten damals zwischen deren Kulturredaktionen hin und her.

Ich wiederum kam von Kleinstadtredaktionen des Münchner Merkurs und der Landshuter Zeitung als spätentschlossener Student nach Berlin, wo ich dank eines sehr guten Vordiploms (das wäre heute fast so etwas wie ein Bachelor) in die Begabtenförderung der Studienstiftung des Deutschen Volkes aufgenommen wurde. Teil der Förderung waren Seminare, wo ältere Begabtengeförderte uns Jungbegabten Einblicke in die Geheimnisse ihrer Berufe gaben, damit wir auf diese Weise noch mehr be–gabt wurden.

Und also begab es sich, dass der junge Josef eines Abends 1995 oder ’96 einem etwa 50jährigen Herren in schwarzem Rollkragenpullover gegenüberstand. Sein helles Haar reichte seitlich fast bis zum Kragen. In Erinnerung habe ich eine Art Mireille Mathieu (für die Jüngeren: googelt sie halt), nur männlich und weißblond. Tatsächlich zeigen ergoogelte Fotos der Edelfeder mehr so gerade nach unten hängendes Haar, fesch aus der hohen Denkerstirn über die Ohren hinab gescheitelt. Ein schlanker, asketisch wirkender Mann, ein bisschen wie man sich einen Jesuiten vorstellte, aber viel schicker. Das mit dem Jesuiten kann sein, weil er aus dem bischöflichen Cusanuswerk begabt worden war, kann aber auch eine Verklärung meiner Erinnerung sein.

Da stand er also, herabgestiegen aus dem Hamburger Olymp des ZEIT-Feuilletons, und hielt Hof. Ich mittendrin in der Schar männlicher und weiblicher Groupies, sehr viele davon Akademikerkinder und also bewandert in geistreicher Konversation und aktueller Literatur. Bewanderter jedenfalls als ich, der staunende Bauernjunge, Erste-Generation-Studierender und volontierter Kleinstadtzeitungsredakteur für Lokales und Sport. Es gab vermutlich Wein an jenem Abend, aber der heißeste Scheiß damals war Bier: aus der Flasche getrunken, das war cool und anti-Establishment, Punk beinahe. Bier! Damit schlug meine Stunde.

Ich sehe, wie die Edelfeder ein Beck’s in den Händen hält und die Blicke hinter der dünngerahmten Brille schweifen lässt. Kein Öffner! Weder einer in schwarzer Livrée, der das mit der verschlossenen Flasche für den Feuilletonisten erledigt hätte, noch ein blecherner Flaschenöffner. Nichts. Meine Chance! Ich frage beiläufig einen Kommilitonen nach einem Feuerzeug, trete beherzt einen Schritt nach vorne und bitte die Edelfeder um die Flasche. Feuerzeug übers untere Daumenglied gelegt, Kante am Kronkorken angesetzt und „Pffft-Plopp“ den Verschluss abgehebelt. Ich reiche das offene Bier zurück. „Ich bin beeindruckt“, sagt Ulrich Greiner.

Ein Postskriptum: Ausweislich der Wikipedia-Seite ist Herr G. Gastautor bei der Achse des Guten. Wenn euch mein Text gefallen hat, hinterlasst mir ein Herzchen oder einen Kommentar und ich schreibe dann noch ein paar Gedanken auf, warum mich das nicht wundert mit der Achse des Guten.

#BildVsWissenschaft (Teil 2)

Ja, wer hat bei der Debatte „Die Rolle des Boulevardjournalismus in Zeiten der Pandemie“ nun gewonnen? Ich vermute, es sind alle herausgegangen mit dem Gefühl „Ich habe meine Punkte gemacht!“ Am Ende nickten sich Otmar Wiestler, Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, und Bild-Chefredakteur Johannes Boie sogar zu, als Wiestler von Nachgesprächen und eventuell künftigen gemeinsamen Projekten sprach. Meine eigene 10-Punkte-Wertung fällt etwas kritischer aus: Ja, jeder und jede auf dem Podium hat mindestens einen wichtigen Punkt gemacht – drei Punkte für die Wissenschaft. Die Bild-Zeitung und ihr Chef haben jedoch die anderen 7 Punkte für sich gemacht. Es erfolgte eben keine Entschuldigung für den Artikel (Boie: der Artikel war mehr als unglücklich und ich würde ihn so nicht noch mal drucken), stattdessen lenkte Michael Meyer-Hermann von sich aus ein und sagte, er empfinde das Zustandekommen der Debatte an sich schon als Entschuldigung. Und trotz dieser Steilvorlage: Nicht einmal hier stimmte Boie ein. Kein. Wort. Der. Entschuldigung.

Stattdessen ein Satz, den man genauer anschauen muss: Der Artikel war mehr als unglücklich (kein Wort von falsch und unethisch) und „ich würde ihn so nicht noch mal drucken“: Nicht etwa „er hätte nicht gedruckt werden dürfen“. Ich höre hier: Im Nachhinein zeigte sich, dass die an den Pranger gestellten Forschenden und ihre Organisationen doch zu schlimm verletzt waren, das konnte man doch vorher nicht wissen. –– Oh doch.

Und es kommt noch schlimmer: Der Artikel war nämlich ein absoluter Einzelfall (das Zitat von Boie lautet „in diesem einen speziellen Fall, der im übrigen wirklich eine Ausnahme war“). Und was ist mit Christian Drosten und dessen Studie, die von Bild fälschlich als grob fehlerhaft bezeichnet wurde? Nach dem damaligen Artikel widersprachen die in der Zeitung zitierten Statistiker alle dem Text, einer legte sich sogar eigens einen Twitter-Account an, um auch auf diesem Medium zu sagen, dass es bei der Kontroverse um einen Pre-Print (eine Art Vorabversion einer wissenschaftlichen Arbeit) um einzelne statistische Methoden ging und nicht um die Kernaussage. Was ist mit dem System Bild-Zeitung, das Rügen des Presserats sammelt wie andere Leute Auszeichnungen? 

Boie hat das Lehrbuch des geschulten Rhetorikers und Krisenkommunikators einmal durchgespielt: Wir sind gar nicht so schlimm, das war ein Einzelfall. Die anderen sind genauso schlimm (Spiegel und Streeck). Wir sind selbst Opfer (auf uns geht täglich Hass nieder, „absolut brutal“). Ihr seid selber auch nicht frei von Schuld (warum seid ihr Streeck nicht beigesprungen?). Es ist nicht Bild, sondern es sind die sozialen Medien, die alles so schlimm machen. Außerdem gibt es laut Boie „eine harte Szene an Kritikern, die ‚Bild‘ abschaffen wollen und Journalismus als Elitenprojekt begreifen“. Ob Herr Boie mal bei seinem Chefredakteurskollegen der WELT Ulf Poschardt und dessen Kumpan Rainer Meyer alias Don Alphonso nachfragen könnte, was es mit diesem Twitterdings auf sich hat? Kein Wort von der systemimmanenten Polarisierung, die Bild und ihre scheinbar gesittetere Schwester WELT betreiben. Kein Wort von der permanenten Grenzüberschreitung der Bild-Zeitung, kein Wort vom Geschäftsmodell der Empörung.

Stattdessen: Wir tragen gemeinsame Verantwortung für die Demokratie. 

Und dann noch die Sache mit dem Elitenprojekt und den Bild-Gegnern: Boie sagte, „wer keinen Boulevard möchte, der tut diesem Land etwas sehr Schlechtes.“ Die 13 Millionen Menschen, die Bild jeden Tag erreiche, hätten ein Recht auf politische Willensbildung. –– Ach? Und dafür ist jetzt die Bild zuständig? Das klingt fast so, als müsse man hier eine Art Schmutzarbeit leisten, um der Nicht-Elite Politik beizubringen; der Springer-Verlag als eine Art Bundeszentrale für politische Bildung für die „Massen“. Was steht da für ein Menschenbild dahinter? Niemand fragte hier nach. Stattdessen eingangs und am Schluss Werbung für die „seit Jahrzehnten erfolgreichste Boulevard-Gruppe Europas“ und eines „der größten Nachrichtenmedien der Welt“. Die sieben Punkte gehen eindeutig an Boie.

Wie ich im ersten Teil schon geschrieben hatte: Die Forschenden und Forschungsfunktionäre haben ihre Sache angesichts der Umstände weitestgehend gut gemacht und ihre Punkte setzen können. Doch gewinnen konnten sie von vornherein nicht in der Arena des ursprünglichen Gegners (ja, Gegner, denn so hatte es angefangen: Solche Formen der Auseinandersetzung sind aus Sicht der Allianz in keiner Weise akzeptabel und widersprechen den Grundregeln einer freien und offenen Gesellschaft sowie den Grundprinzipien unserer Demokratie.) und künftigen Partners (wir bleiben im Gespräch und denken über gemeinsame Projekte nach). 

Was ich schmerzlich vermisst habe, war eine Medienforscherin oder Soziologin, die über die Arbeitsweise und Ziele des „harten Boulevards“ (so der Vorgänger Boies über die Art des Journalismus bei Bild) Bescheid wissen. Die die Naturwissenschaftler*innen und Mediziner auf dem Podium hätten aufklären können über Funktionen des Journalismus, zu denen es explizit nicht gehört, Sprachrohr der Wissenschaft zu sein.

#WissenschaftvsBild (Teil 1)

Ich muss zugeben, ich war auf Krawall gebürstet, als ich anfing, die Sendung „Die Rolle des Boulevardjournalismus in Zeiten der Pandemie“ zu schauen. Am Ende blieb ich zwar bestätigt in meiner Haltung, dass dieses Gespräch so nicht hätte stattfinden dürfen, aber die Vertreter*innen der Wissenschaft sind nicht untergegangen. Ich denke, sie sind sogar mit einem guten Gefühl aus der Debatte gegangen: ihre Punkte haben sie gemacht und man bleibt im Gespräch, schiebt vielleicht sogar weitere gemeinsame Projekte mit der „Bild“-Zeitung an, wie Otmar Wiestler, Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, es sich ganz am Ende der Debatte wünschte.

Erkenntnisse, die ich gewonnen habe: In der Wissenschaft – zumindest so, wie sie auf dem Podium vertreten war – herrscht eine erschreckende Unkenntnis der medialen Mechanismen und Arbeitsweisen vor. Der Vorschlag, eine Wissenschaftsseite in der „Bild“ (oder irgendeiner einer anderen Zeitung) allein von der Wissenschaft bestücken zu lassen, zeugt davon. Dahinter steht ein Missverständnis: Viele Wissenschaftler*innen sehen Journalist*innen lediglich als Übersetzer*innen der eigenen Arbeit und als Multiplikator*innen an. Drei- oder viermal mindestens wurde auch explizit von der Übersetzung der Forschungsergebnisse für die Bild-Kundschaft gesprochen. Das. Ist. Nicht. Journalismus. Sondern. PR.

Ein Tipp, liebe Forschunsgorganisationen: Kauft viermal pro Jahr eine ganze Anzeigenseite bei Bild und schreibt rein, was ihr wollt. So teuer ist das nicht, schon gar nicht, wenn man sieht, was allein die Max-Planck-Gesellschaft für pseudojournalistische Produkte ausgibt: 92.000 Hefte „Max Planck Forschung“, vier mal pro Jahr: Honorare, Druckkosten und Übersetzung (10.000 Stück sind auf Englisch) sowie Versand – da kommt schon was zusammen, das reicht locker für eine Anzeigen-Kombi WELT und Bild. Überlegt euch aber vorher sehr gut, liebe Präsidialstäbe, wie ihr euren redaktionellen Auswahlprozess gestaltet. Ich sehen die Runde der professoralen Präsident*innen schon vor mir, wie sie bei ihrer Themenkonferenz darauf bestehen, dass dieses Mal aber auch eine ihrer Forschenden bei der Axel-Springer-Sonderseite dabei sein müsse…

Ich will damit übrigens nicht gegen institutionelle PR und Berichterstattung argumentieren, ganz im Gegenteil. Die Wissenschaft ist in der Pflicht, über ihre Arbeit allgemeinverständlich zu berichten und möglichst breite Bevölkerungsschichten anzusprechen. Sie muss in den Dialog mit den Menschen treten, die ihre Arbeit über Steuern finanzieren, die von den Ergebnissen betroffen sind.

Sie kann und darf sich dabei aber nicht auf Journalismus verlassen, denn dessen Aufgabe ist eine andere. Der muss die Arbeit und die Forschungsergebnisse unabhängig einordnen. Dazu gehört auch, aus journalistischer Sicht unwichtige Themen oder Personen wegzulassen. Das ungeprüfte Abdrucken von Informationen aus der Wissenschaft gehört nicht dazu.

In der nächsten Episode geht es darum, wer denn jetzt gewonnen hat… stay tuned (ich versuch mich mal an einem Cliffhanger)

Mixed Signals

Somehow, I had a „déjà-vu“ after the release of the proceedings from the #factory wisskomm (see here). A couple of years ago, the German Academies of Science (yes, plural, I’ll come to that later) had published an expert’s report on science communication. Journalists were to play a major role in the communication. I wrote the main parts of the blog post below then. In the following years, some good initiatives followed, e.g. the founding of the German Science Media Center as an analogue to the British SMC. On the other hand, the decline of the traditional media continued – as newspapers and magazines kept losing readers and advertising revenue they had to cut costs and did so by laying off editorial staff, often specialists like science journalists. Different reasons, same effects: Public service broadcasters had to cut costs as well and trimmed down their reporting on science.

Signals from the #factory wisskomm are mixed. Strengthening of science journalism, for instance, which is – of course – a good idea. More communication from within science, which is – in principle – a good idea as well but has its shortfalls. Scientists are not trained in communication and have many many other tasks. Plus: There is still a multitude of voices from German science and not one co-ordinating voice with a leading opinion (except that it is good to communicate). In this re-posting, I update some thoughts on why there cannot be „the“ one voice of science in Germany, and what history has to do with this. In a nutshell: „mixed signals“ could be the overarching motto for science communication in Germany.

Introduction

Ever heard of Helmholtz Association, Leibniz Association, Max Planck Society or the German Research Foundation? Ever wondered why the ones are called associations, others societies? And what about the two handful of academies in Germany? – Germany’s scientific system is quite complicated for those who are not familiar with German politics and history.  So here’s a brief and very personal description of the way science is organized in Germany and why this matters so much for science communication.

First, you need to know that Germany is a federal state, consisting of “Bundeslaender” (states). These, in turn, can in many cases be traced back to kingdoms and principalities. There were several unification processes in the 19th and 20th century resulting (1) in a German empire dominated by Prussia (Kaiser Wilhelm II will become important later on in this text), than (2) the Weimar Republic, after that (3) the “Deutsches Reich” under Nazi rule and, second to last, (4) two Germanies (German Democratic Republic, GDR, and Federal Republic of Germany, FRG) which (5) merged again in 1989: reunification or “Wiedervereinigung” in German.

Two things you should keep in mind whilst reading the following paragraphs: long-time Prussian domination (with the capital Berlin) since the 1870s and the peculiarities of the division into two Germanies after World War 2: In the western part, the first political entities to re-emerge were “Bundeslaender”. So, before the Federal Republic of Germany came into existence in 1949, it was the “Bundeslaender” that organized life on an administrative and political basis.

The beginnings of organized science

When you think of organized science you will have in mind universities. As an organizational structure they date back to the Middle Age. Interestingly, universities then were more like schools in the sense that they taught existing and established knowledge coming close to propaganda for the rulers and the Church. In the 17th century, scientific academies were formed throughout Europe, mainly financed by kings or governments. The Prussian Academy, for instance, was founded in 1700, and the Berlin-Brandenburg Academy of Science and Humanities sees itself as the direct successor of this learned society.

The modern type of university combining research, knowldge-seeking and teaching came into being in the early and mid 19th century, in Germany shaped to a great extent by Wilhelm von Humboldt. Teaching was still an important part, but research as well.

At the turn of the 19th and 20th century, a famous theologian, Adolf Harnack (later: Adolf von Harnack), thought of improving the scientific progress by introducing non-university institutes (extramural institutes) in a quite special manner. He advised Emperor Wilhelm II to fund institutes by appointing the best scientist of a given field as director, give him (at that time, scientists were nearly always men) substantial funds and than let this scientist basically do what he wanted to. This is called Harnack’s Principle (“Harnack-Prinzip”) in Germany: take a scientist, give her or him sufficient money and leave her/him alone to follow her/his goals. So, in 1910, the Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG, translated Emperor Wilhelm Society) was founded. Famous scientists worked there, amongst others Albert Einstein, Fritz Haber, and Max Planck, and Oskar and Cécile Vogt who founded the Kaiser Wilhelm Institute (KWI) for Brain Research that was relocated to Berlin-Buch around 1930. Many Nobel laureates came from KWIs and the KWG thrived. KWIs could afford the most modern machines and pursue expensive and/or long-term projects.

However, there were still the universities and their researchers who also needed money. In October 1920, the so-called Emergency Association of the German Research, “Notgemeinschaft der Deutschen Forschung”, was founded. This association saw itself as the representative body of all German scientists. The Emergency Association was to become the German Research Foundation (Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG). DFG is celebrating its centennial. The DFG funds individual scientists on a project level and not institutes (well, at least in principle, nowadays things get somehow indistinguishable*).

Just before the Nazi party came into power, Germany had the famed KWG, its old and highly renowned universities, and other extramural institutes as well, privately funded or run by foundations or ministries. We also had academies. Yes, plural. There was not one German Acadamy of Science but a whole lot of regional academies: Bavaria, Prussia, Saxony, and other states prided themselves with learned societies, the oldest one dating back to 1652. But these academies were not really for conducting cutting-edge science. (I am waiting for comments here.) They were more like old boys’ clubs. They were and still are important as learned societies and they still do interesting long-term projects (see here for examples in German) but let’s skip them for a while.

The War changes (not) everything

When the Nazi party came into power in 1933, many renowned scientists were driven out of office and forced to emigrate either because they were Jewish or against the regime. Quite a number of the remaining German scientists were helping the Nazis and some of them committed atrocities, especially in the field of biomedical research.

After the defeat in 1945, Germany was divided into four parts – yes, four, not two. One was under the rule of the Soviets and was to become the GDR. The other three parts were administered by France, Great Britain, and the United States. The allied forces installed regional governments for the “Bundeslaender”. These western “Laender” then formed the Federal Republic of Germany in 1949. But in the four years between surrender and the foundation of the FRG, schools had been in place, police, and universities were offering classes. This is one of the main reasons for the extremely strong role of the “Laender” in education. Universities as well as schools are solely funded and administered by the “Bundeslaender”.

After World War 2, the Kaiser Wilhelm Society had tried to continue. It is said that they sent the great physicist Otto Hahn to Albert Einstein trying to find out whether he could be convinced to become again a member of the famous scientific organization. Einstein declined brusquely. So they asked the long retired Max Planck, Nobel laureate and politically untainted, and he became the first president and eponym of the society formerly known as “Kaiser Wilhelm Gesellschaft”: the Max Planck Society was born. Many of the old scientists stayed in office, even if they had actively supported the Nazi government or committed horrible deeds such as studying brains from murdered children – all for the sake of research.

The Max Planck institutes and their scientists were mainly focused on basic research. To complement this, another society was founded in 1949 to conduct applied science with close relationships to the industry. It was named after Joseph von Fraunhofer (1787-1826), a Munich researcher, inventor and entrepreneur.

Nowadays, the Fraunhofer Society is Europe’s largest organization for application-oriented research.

Strategic, government-driven large-scale research enters the picture

In the 1950s, harnessing nuclear power was a very promising field of research and quite widely accepted by the society. Governments and scientists dreamed of nuclear-powered cars, trains, ships, and of mining with atomic bombs (the Soviets did the latter, and nuclear reactors in great warships are commonplace by now). And of course electricity could be produced, too. Nuclear research was a matter of utmost importance (and secrecy) for the governments, and it was expensive. Thus, the German research institutes conducting this kind of research were closely tied to the Federal, i.e. the central government, and not to the “Bundeslaender”. Interestingly, the large scale research facilities were all independent institutes or centers and formed a loose working group (“Arbeitsgemeinschaft”). This working group turned into an association and was later named after Hermann von Helmholtz, a medical doctor and physicist. Even though the Helmholtz Association underwent a significant centralizing process, each member institute of the Helmholtz Association is still independent so that the central administration of the Helmholtz Association has a weak role compared to that of the Max Planck Society. Today, the Helmholtz Association is Germany’s largest research organization comprising 18 large-scale centers and facilities with more than 30,000 employees.

There is yet another kind of government-driven research, the so called Federal Research Institutes, relevant to, e.g. health, regulations; public safety, and infrastructure. Read more here.

Between 1965 and 1973, many reforms were carried out in the university system and in the organization of science. In the aftermath of these reforms, the „Blue List“ was created in 1977. This list, printed on blue paper (hence the name), comprised 46 research institutes in the FRG. All they had in common was a new mode of funding equally divided between the “Bundesland” where the institute is located, and the federal government. This “Blue List Institutes” founded a working group, too. It was renamed several times and is now called the Leibniz Association.

Thus, two categories of extramural research emerged: two societies (Max Planck and Fraunhofer) with a strong central administration, and two associations (Leibniz and Helmholtz) with strong independent member institutes. For the book keepers: The Helmholtz  Association took its name in 1995, the Leibniz Association in 1997.

German reunification and its effects

In 1989 the wall came down and in 1990, the GDR parliament decided that the GDR should join the FRG. In October 1990, the reunification was celebrated. Subsequently, politicians planned to integrate the scientific systems. A large group of scientists went to the former GDR institutes to evaluate the research there. Basically, nearly all university professors of the GDR were sacked because to become a professor in the GDR one had to be in line with the ruling party SED. But there were quite successful institutes in the GDR organized in the Academy of Science of the GDR. This was not a learned society as in western countries, where members were appointed or elected, but rather a state-run holding for research institutes. If a GDR scientist wanted to be left alone politically she or he strived for a job in an academy institute. With the exemption of directors and union representatives, one could work there without being bothered by party meetings and speeches.

After the experts had evaluated the GDR institutes the question arouse: Where do we put them? Include them in universities? Difficult, as western tradition had it that a substantial part of the research, especially long-term research, is done in extramural institutes. Max Planck? Well, they said in Munich, we still adhere to the Harnack Principle; remember? We do not take institutes wholesale. We look for outstanding scientists. – Look, the other Munich-based organization, Fraunhofer, said, we are doing top-notch research for high-tech industries, and the institutes in the GDR are not quite up to this given that there was no real high-tech industry in the east. For Helmholtz, the size of most of the GDR institutes was too small. So politicians came up with the Blue List. What was this anyway? Dozens of institutes solely connected by the mode of financing. In the end the main chunk (more than 30) of all GDR research institutes ended up in the Leibniz Association.

So, we have four strong voices for extramural research institutes (Fraunhofer, Helmholtz, Leibniz, Max Planck), we have the German Research Foundation (DFG) as the self-governed body of university-affiliated scientists, we have a National Academy of Science (declared in 2008), and quite a number of additional players such as Foundations and the Federal Institutes (in the pandemic, the RKI and PEI became extremely well known).

A personal conclusion

Now if you ask for any representative voice for the German science, Max Planck will answer: What do you want? We got most of the Nobel prizes, we are THE brand, we are the “crème de la crème”. So it’s us. The DFG will say: What do you want? We are the representative body of all single scientists and truly self-governed by science. It’s us. Helmholtz does not answer loudly but flexes its muscles and whispers: What do you want? Here’s the money, here’s the government’s strategic research, we are the biggest. Fraunhofer does not answer either but says to itself: We earn more money from our research than all the other elitists combined. Then they turn away and continue inventing cool gadgets like MP3.

Whoa, steps in the National Academy of Science Leopoldina: What do want? We are the oldest academy in Germany, we were declared the National Academy! It’s us. — Wait a minute, say the Berlin Brandenburg Academy and “Acatech – National (sic!) Academy of Science and Engineering”: The Leopoldina was declared National Academy only together with us. Oh, say other academies and adversaries, the Prussians again. The Prussian experience is why the Berlin-Brandenburg Academy was not appointed National Academy. And what about universities as such? asks the German Rector’s Conference, the “Voice of the Universities”. – So, now you go and tell me who is the voice of Germany’s science?

Regionalism and sectionalism pose several problems. We do not have the one strong voice of science in Germany; there is no Chief Scientist. That weakens the position of science when it comes to political weight. It poses a problem for joint outreach efforts because each organization or governing body has its own goals, its own egos at the top and limited budget. It also limits the options when it comes to media relations. Each organization keeps more than one eye on the media: which president is mentioned, which one not? Why is institution X featured so prominently and not our center?

That’s the downside. But here’s the upside: I have worked with press officers and PR people of many of the institutions mentioned above, quite a number I would call professional friends. And oftentimes, we strived for the best solution for science. We searched for (and found) common ground. In a way, you might compare the situation with the European Union. No strong central government, a high degree of regionalism and the constant need for compromise and for finding a middle ground. It’s often criticized but it is a system that empowers smaller members and that offers stability. Conflicts are mellowed. That may be perceived as dull but if I compare the situation in Germany with other countries, science is highly esteemed and still well funded. And that is quite a success.

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* What do I mean by indistinguishable? The DFG funds individual scientists and collaborative research centers, the “Sonderforschungsbereiche”. They often comprise dozens of scientists and can last up to twelve years. The DFG also founded centers of excellence such as the MATHEON in Berlin. One could see this as coming closer and closer to founding and funding institutes. On the other hand, extramural organizations and centers dole out grants and fund collaborative research projects.

Here’s some more materials. The slide „Forschungslandschaft“ was provided by M. Hennecke from the Federal Institute for Materials Research and Testing:

Forschungslandschaft in D eng

ResearchOrganizations

Die Hamburger Posse – oder doch EHER ein Drama?

Wer den Präsidenten der Uni Hamburg, Dieter Lenzen, ein wenig kennt, und wer je mit von sich selbst überzeugten Physik-Professoren zu tun hatte, der muss Mitleid mit den Beschäftigten in der Pressestelle der Uni haben. Die Uni ließ eine Pressemitteilung veröffentlichen, wonach der Physiker Roland Wiesendanger in einer „Studie“ (sic!) umfangreiche Belege für die These zusammengetragen habe, dass das Corona-Virus aus einem Labor-Unfall in Wuhan stammt. Das ZDF zitiert Wiesendanger dazu so: „Ich bin stolz auf den Präsidenten der Universität Hamburg. Wir haben sehr umfangreich über die Szenarien gesprochen, welche Reaktionen es auf die Veröffentlichung geben wird. Reaktionen, die uns in die Ecke von Verschwörungstheorien stellen wollen.“

Die beiden Professoren sind also selbstbewusst und sehenden Auges in die Kommunikationskatastrophe gegangen.

Die ganze #wisskomm-Twitteria zerreißt die so genannte Studie, zugleich macht das Papier bundesweit Schlagzeilen. „Deutscher Professor sicher: Corona war LABOR-UNFALL in China“ titelt die BILD, auch andere Boulevardblätter greifen die Verlautbarung der Uni Hamburg auf. Deren Pressestelle rechtfertigt sich mit der Aussage, weder die Hochschulleitung noch die Pressestelle übten „Zensur“ (sic!) zu Forschungsgegenständen und Ergebnissen ihrer Wissenschaftler:innen aus. Man stehe daher als Abteilung zur Verfügung, wenn es um Veröffentlichung gehe. Das ganze Zitat steht hier.

Eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen aus der #wisskomm sehen den Fall als Beleg dafür, wie wichtig Leitlinien guter Wissenschaftskommunikation bzw. guter Wissenschafts-PR sind. Die Leitlinien gibt es längst. Nur: Wer glaubt ernsthaft, dass sich zwei Alpha-Profs davon abhielten ließen, ihre Kollegin in der Pressestelle in die Spur zu schicken – „kommunizieren Sie das mal!“ ? Leitlinien nützen wenig, wenn es keine Sanktionsmöglichkeiten gibt. Ein bisschen helfen sie schon, die Erfahrung machen wir beim Informationsdienst Wissenschaft idw, wenn wir „gelbe Karten“ an Pressestellen von Mitgliedseinrichtungen verteilen. Immer wieder kommt es vor, dass die so verwarnten Kolleginnen und Kollegen sagen, „vielen Dank, das hilft mir intern, weil ich mich mit der Verwarnung im eigenen Haus eher durchsetzen kann, wenn ‚von oben‘ wieder mal auf eine Mitteilung gedrängt wird.“ Aber ein Anruf aus der idw-Geschäftsstelle oder eine Mail sind zahnlose Tiger. 

Mehr noch: Ich fürchte, die Uni-Präsident und der Physiker sehen sich bestätigt. Schlagzeilen! Diskussion!! Bekanntheit!!! Genau das wollten wir doch. Mission accomplished. Dass sie damit den Ruf des eigenen Hauses, ihrer Pressestelle und der Wissenschaft insgesamt schädigen, sehen sie vermutlich nicht. 

Es ist ein Zufall, dass ich selbst mit meiner Kollegin Uta Deffke und den Kolleginnen und Kollegen aus dem Alfred-Wegener-Institut (AWI) nahezu zeitgleich die Gegenprobe machen durfte. Uns lag eine Studie auf dem Tisch, peer-reviewed und aus „SCIENCE“, wonach die Umkehr des irdischen Magnetfeldes vor 42.000 Jahren das Aufkommen der Höhlenmalerei befördert hat, in Australien Großtiere hat aussterben lassen und womöglich zum Ende des Neandertalers beigetragen hat. Die Studie selbst nimmt Bezug auf Douglas Adams’ „Hitchhiker’s Guide to the Galaxy“, nennt das Ereignis „Adams Event“ und verweist auf 42 als Antwort auf das Leben und alles. New York Times und der Guardian greifen das begierig auf, der Deutschlandfunk und viele weitere Medien auch. Mein Arbeitgeber (das Deutsche GeoForschungsZentrum GFZ) und das AWI waren wissenschaftlich daran beteiligt und sind in der Autorenliste genannt. 

Was haben wir gemacht? Wir haben uns abgestimmt und lassen die gemeinsame Pressemitteilung mit einer Aussage des GFZ-Forschers Norbert Nowaczyk enden: „Auf Basis dieser neuen Möglichkeiten zur zeitlichen Einordnung der Ereignisse vor 42.000 Jahren stellen die Hauptautoren der Studie noch weiterreichende Hypothesen über die Auswirkungen der Erdmagnetfeld-Umkehr auf – etwa hinsichtlich des Aussterbens der Neandertaler oder des Einsetzens von Höhlenmalereien. Dass hier kausale Zusammenhänge bestehen, hält Nowaczyk nicht für ausgeschlossen, aber eher für unwahrscheinlich.“

Ich gebe zu, ein bisschen piekt es mich, wenn ich die großen Medien New York Times und Guardian twittern sehe. Wir haben hier bewusst Klicks und Reichweite liegen gelassen. Zugleich bleibt es für Pressestellen, auch für die des GFZ, ein Erfolg, wenn viel über das eigene Haus und die Forschung berichtet wird. Solange Klickzahlen und Reichweite das Maß der Dinge sind, wird sich nicht viel ändern. Egal, ob es nun Leitlinien gibt oder nicht. Mein seit Jahren vorgetragener Wunsch geht an die DFG: Nehmt Leitlinien zu guter Wissenschaftskommunikation endlich in euer Regelwerk zur guten wissenschaftlichen Praxis auf. Verleiht dem Tiger ein Gebiss. 

Wissenschaft und „Spin“

Der von mir sehr geschätzte Mike S. Schäfer, Professor für Wissenschaftskommunikation an der Universität Zürich, hat eben eine sehr interessante Studie veröffentlicht, bei der vor allem die Methodik cool ist. Mit einer Plagiats-Finde-Software untersuchten er und sein Kollege Daniel Vogler, wie sehr Artikel in Schweizer Medien mit Pressemitteilungen übereinstimmten.

Sie benutzten dazu ein Archiv von mehr als 5.000 Pressemitteilungen und anderen „Nachrichten“ der eigenen Uni in Zürich aus 15 Jahren. Die verglichen sie mit knapp 14.000 Texten aus vier großen Schweizer Tageszeitungen.

Sie fanden, dass „der Einfluss der PR auf Medien“ im Verlauf dieser 15 Jahre signifikant zunahm und auch die Tonalität freundlicher wurde.

So weit, so gut. Alles nachvollziehbar. Was mich aber stört, ist der Umstand, dass in der Überschrift der Arbeit und im Abstract aus meiner Sicht ein „Spin“ erzeugt wird: „Growing influence of University PR on Science news Coverage?“ heißt es im Titel. Und der erste Satz des Abstracts lautet „Universities have expanded their public relations (PR) departments in recent years.“ –

– Aha! Hier die PR, die nach Einfluss auf Medienberichterstattung strebt und ausgebaut wird, da der Journalismus, der ausblutet (zweiter Satz des Abstracts: „At the same time, news media have had to cope with reduced resources.“)

Ich halte das für einen unzulässigen Spin. Und ich würde gerne einen alternativen Spin vorschlagen: „Accelerated de-professionalizing of Science News Coverage?“ Das entspricht meinem – zugegeben subjektivem – Empfinden und meinen – zugegeben anekdotischen – Beobachtungen mehr als ein wachsender Einfluss der PR auf Medien.

Im Endeffekt kommt es aufs gleiche raus: In Medien erscheint weniger qualitätsgesicherte Wissenschaftsberichterstattung. Und auch die Diagnose einer sich verschiebenden Machtbalance, die in der Arbeit gestellt wird, ist aus meiner Sicht richtig.

Was ich jedoch bestreite, ist der Zusammenhang eines Ausbaus der PR als Ursache für die Verschiebung der Machtbalance. Aus den Einrichtungen, die ich kenne, kommen in den letzten Jahren nicht deutlich mehr Pressemitteilungen pro Jahr (und ja, es gibt Unis, die hauen mehrere hundert solcher Mitteilungen pro Jahr raus). In den Einrichtungen, die ich kenne, arbeiten die Kolleginnen und Kollegen auf viel mehr Feldern als früher (Social Media, Videos, Interne Kommunikation, Politikbeziehungen, Schülerlabore, Berichtswesen), ohne, dass sie dem Aufgabenzuwachs entsprechend zusätzlich ausreichend Personal erhalten haben. Subjektiv: Es bleibt nicht mehr Zeit als früher für eine zunehmende Zahl von Pressemitteilungen.

Was aus meiner Sicht eher ursächlich für den beobachteten größeren Einfluss und die Verschiebung der Machtbalance ist: Mehr ehemalige Journalistinnen und Journalisten arbeiten in der PR, es findet also eine gewisse Form von Professionalisierung mit Blick auf mediengerecht aufbereitete Inhalte statt. Und die Professionalisierung hat die Ursache im Geschäftsgebaren der Verlage, die Wissenschaftsredaktionen abbauen und damit gute Leute entlassen, die dann in die PR wandern.

Außerdem, aber das steht in der Arbeit von Mike S. Schäfer und Daniel Vogler auch so drin, nehmen Zeitdruck und Arbeitslast in den Redaktionen massiv zu.

Mich stört einfach, dass „die Medien“ mit schwindenden Ressourcen „zu kämpfen haben“, wie es im Abstract heißt, als ob einfach Regen ausbliebe oder Ernten ausfielen. Nein, verlegerische Entscheidungen und auch Programmentscheidungen im nicht so schlecht ausgestatteten öffentlich-rechtlichen Rundfunk führen zu einer Schwächung des Wissenschaftsjournalismus – und damit quasi automatisch zum Erstarken der PR.

Kurzarbeit, Corona und Curry

Ein paar Gedanken zur Verlagskrise, zu Kurzarbeit in Zeitungen und Zeitschriften und zu Corona – und Curry.

Vor fast 35 Jahren musste, wer in München eine Wohnung zu mieten suchte, am Dienstagabend kurz nach Sechs am Verlagsgebäude der „Süddeutschen Zeitung“ stehen. Die ersten Exemplare für den abendlichen Verkauf in Lokalen (die „Kneipenausgabe“) kamen frisch aus der Druckerpresse, und jetzt galt es schnell zu sein. Wohnungsannoncen durchschauen, Schwabing, Haidhausen, oder – für die Wagemutigen – Giesing, vielleicht kam man ja mit dem Wählscheibentelefon zum Vermieter durch und erhielt einen Besichtigungstermin. Bei uns hat es damals nur zu einer WG direkt am Frankfurter Ring gereicht. Wenn der Wind ungünstig stand, wehten die Schwaden von der BMW-Autolackiererei rüber. Und alle paar Wochen klaute uns ein asozialer Mitbewohner die Wochenendausgabe der Süddeutschen, weil die nicht in den Briefkasten passte und daher offen im Flur lag. Die Zeitung am Samstag war manchmal so dick, dass der Austräger sie nicht mal ansatzweise in den Briefkastenschlitz stecken konnte. Immobilien, Autos, Jobs – Anzeigen über Anzeigen.

Auflagenprobleme kannte die Süddeutsche nicht, Erlösprobleme noch viel weniger. Ähnlich ging es den meisten anderen Tageszeitungen und vielen weiteren Printmedien. Wachstum war die Devise, in den 1990-er Jahren expandierte die SZ nach NRW und holte sich eine blutige Nase. Verleger, und mit ihnen viele Journalistinnen und Journalisten, strotzten vor Selbstbewusstsein. Die Süddeutsche hatte bis 1996 keine Farbfotos auf der Titelseite, man war ja nicht Boulevard! Als letzte Bastion fiel die FAZ, die erst ab 2007 regelmäßig Titelfotos veröffentlichte.

Kampf um Aufmerksamkeit? Ich bitte Sie!

Dann kam das Internet. Zunächst am stärksten genutzt von Wissenschaft und Pornographie: beide Themen keine Konkurrenz für Verlage. Bis die elektronischen Kleinanzeigen kamen. Wohnungen, Autos, Jobs, Partnersuche – alles weg, Einbrüche in der Erlösstruktur von 20, 30 Prozent. Titel wurden verkauft, Zeitungen und Zeitschriften reihenweise eingestellt, Beilagen (Auto, Wissenschaft), zunächst mit großem Aufwand und eigenen Redaktionen gegründet, wieder abgeschafft. Parallel erwuchsen Portale im Internet, die das Geschäftsmodell der Verlage von beiden Seiten attackierten. Man konnte plötzlich seriöse und fundierte Informationen auch im WWW finden: Qualitätsjournalismus online. Zugleich gab es Contentschleudern („churnalism“), die mit Clickbaiting die Massenaufmerksamkeit anzogen. Reichweite macht attraktiv für Anzeigenkunden (bisher Haupteinnahme der Verlage). Qualitätsgesicherte Information, dazu noch aktueller als in Tageszeitungen, macht attraktiv für junge und gebildete Leserinnen und Leser (Abonnenten als das zweite Standbein der Verlage).

Das Internet gibt es seit rund 30 Jahren, und seit rund 20 Jahren diskutieren wir, wie Qualitätsjournalismus weiter finanziert werden kann. Jetzt gilt in einigen Verlagen Kurzarbeit, ausgerechnet jetzt, wo qualitätsgesicherte Informationen gefragt sind wie nie. Corona macht hier die Verlagskrise sichtbar, die es seit langem gibt und die die Verlagssprecher, die Heraus- und Hereingeber und auch die Journalistinnen und Journalisten der jeweiligen Häuser mit immer neuen seltsamen Zahlenspielen camouflieren. Reichweite, Leser-Entscheider-Analyse, weltberühmt in Berlin…

Ich fürchte allerdings, dass die Corona-Krise die traditionelle Medienwirtschaft mehr schädigt als nur durch ausgefallene Anzeigenerlöse. 

Erstens: Anzeigenkunden kommen nicht ohne weiteres wieder, schon gar nicht in Zeiten, wo Geld knapp ist. Wenn Unternehmen sparen, dann meist zuerst bei der Werbung. Die Rezession nach Corona wird kommen und damit weitere Werbeeinbußen. Ich vermute, dass es am Frankfurter Ring in München auf absehbare Zeit nicht mehr so nach Lack stinken wird, egal, woher der Wind weht.

Zweitens: Die Menschen haben sich noch mehr als vorher daran gewöhnt, dass Informationen nicht mehr nur über traditionelle Wege zu ihnen kommen. In einer Zeit, da beinahe stündlich neue Zahlen diskutiert wurden und neue Erkenntnisse kamen, ist der herkömmliche Informationsweg über Redaktionen und womöglich gar noch über Druckereien und Auslieferung schlicht zu langsam geworden.

Drittens: In Zeiten der Kontaktsperre und Kontakteinschränkungen haben sich selbst technikfeindliche Menschen, die zuhause gerne vor Bücherregalen und Zeitschriftentischchen auf den Besuch der Nichten, Neffen, Enkelkinder warten, an Skype und Zoom und WhatsApp gewöhnt. Wirklich abseits vom Klischee: Alle Welt redet von einem Schub, den die Digitalisierung der Arbeitswelt durch Home Office erhalten habe. Das ist richtig, aber dieser Schub erfasst eben auch die Informationsbeschaffung und das Private.

Viertens: Was machen all die entlassenen Journalistinnen und Journalisten? Ein bisschen weinen sie den Holzmedien nach, aber dann müssen sie eben doch essen, wollen arbeiten, haben Energie, Ethos und Ehrgeiz. Kurzum: Mit den Personaleinsparungen schaffen sich die alten Verlage mehr und mehr hoch professionelle Konkurrenz.

Fünftens: Das, was ich aus den Verlagsgeschäftsführungsetagen höre und lese (disclaimer: das ist  natürlich nur ein Ausschnitt der Realität, vermittelt über eben jene Medien, die über Medien berichten und die ich lese), stimmt mich eher pessimistisch. Entweder, siehe oben, schöngeredete Entwicklungen oder Sparprogramme. Wo sind innovative Ideen? Alle Leserinnen und Leser mit Jahresabo erhalten ein Tablet mit vorinstallierter Zeitungs-App, alle Corona-Infos werden gebündelt und frei zugänglich gemacht, daneben wird eine Paywall aufgebaut, sofern sie nicht bereits existiert. Nachrichten aus der E-Zeitung kann man mit persönlicher Videobotschaft weiterleiten an Freunde und Verwandte… – vielleicht geht das alles nicht, und vielleicht sind diese Ideen nicht neu oder nicht klug, aber ich habe das Privileg, dass ich nicht auf derlei Ideen angewiesen bin. Verlage schon. Holzweg ist bei den Holzmedien eine doppelt treffende Metapher.

Wer es dieser Tage richtig gut macht, ist – ausgerechnet – die taz. Sie hat ohnehin ein anderes Geschäftsmodell durch die Genossenschaft. Das ist viel stärker an Leserinnen und Lesern orientiert. Am Wochenende diskutieren die Mitglieder der Redaktion  auch auf den Papierseiten mit Leserinnen und Lesern, denen die taz zu unkritisch geworden ist in der Krise, weil sie Merkel lobt. Leserinnen und Leser in den Mittelpunkt (und nicht etwa einen Autokonzernboss eine Ausgabe gestalten lassen wie es ein anderes Blatt einmal gemacht hatte). Nachdenkstücke, „slow food“ fürs Hirn auf Papier.

Eine konsequente Doppelstrategie also für die Holzmedien: „Slow Food“ für den täglichen Frühstückstisch oder die Wochenendausgabe, „Fast Food“ gibt es online. Und „Fast Food“ muss man nicht mit Empörung würzen, sonst ist es wie billiges Currygewürz: das kann jeder, und dann schmeckt alles gleich. Nein, Qualität muss überall drin sein, man muss die Zutaten schmecken, sprich: Transparenz in der Recherche und in redaktionellen Entscheidungen. — Und wenn mir mehr einfällt, schreib ich es hier auf.

#wisskomm und Corona

Rainer Bromme, Senior-Professor für Pädagogische Psychologie und #wisskomm-Experte an der Uni Münster hat einen sehr guten Beitrag zur Wissenschaftskommunikation anlässlich der Corona-Pandemie veröffentlicht. Darin geht es um Konflikt und Konsens, implizit also auch um mediale Logiken. Das Gute an dem Beitrag ist, dass Bromme ganz konkrete Probleme anspricht und auch Ratschläge hat, wie die #wisskomm damit umgehen soll.

Zusammen mit dem großen Überblick von Stephan Russ-Mohl (siehe Posting davor) ergibt das ein gutes Bild, wo die Konfliktlinien derzeit verlaufen und welche Probleme die Wissenschaftskommunikation in all ihren Facetten (Journalismus, Reputationskommunikation, Fachwissen-Vermittlung, Politikberatung…) hat.

Hier geht es zum Beitrag: https://www.uni-muenster.de/news/view.php?cmdid=10953

 

Gastbeitrag: Corona in der Medienberichterstattung und in der Medienforschung

Ein Dossier von Stephan Russ-Mohl (Stand: 14. April 2020)

Als Corona alle anderen Themen aus der Medienberichterstattung verdrängt hatte und allein schon diese Thematisierungs-Monomanie Kommunikationswissenschaftler als kritische Stimmen hätte auf den Plan rufen müssen, gab es für sie kaum eine Chance, sich Gehör zu verschaffen. Nach meinem ersten, allerdings unvollständigen Eindruck ist es immerhin drei Medienforschern trotzdem gelungen, bereits in dieser Berichterstattungsphase der Schockstarre an die breitere Öffentlichkeit durchzudringen: Otfried Jarren, Klaus Meier und Bernhard Pörksen. Das hat die Frage aufgeworfen, wo sich Hunderte weiterer Medien- und Kommunikationsforscher im deutschsprachigen Raum «verstecken», die von den Medien eigentlich gerade jetzt als Quellen zur Einschätzung und Erklärung der Kommunikation rund um Corona genutzt werden sollten.

In diesem Dossier werden zunächst Beiträge der drei «sichtbaren» Kollegen präsentiert, die meine Sammel-Aktion ausgelöst haben. Dann folgen Links zu Fachkolleginnen und Kollegen, welche die Spannweite der Einlassungen verdeutlichen und belegen, wie wichtig Diskussionsbeiträge von Medienforschern sein können, um die Corona-Kommunikation in ihren Facetten zu verstehen und zu verbessern. Zum Schluss füge ich eine Liste eigener Fragen hinzu, die mehr mediale Aufmerksamkeit verdienen würden.

Das Dossier wird online auf der Website des Europäischen Journalismus-Observatoriums (https://de.ejo-online.eu) publiziert und dort zugänglich bleiben. Dort finden sich inzwischen auch im «Global Journalism Observatory» Beiträge, die sich mit der Corona-Berichterstattung in aller Welt auseinandersetzen.

1. Erste Stimmen von Medienforschern während der Corona-Schockstarre

Die Rolle der Öffentlich-Rechtlichen im Corona-Diskurs – Otfried Jarren

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk habe in Zeiten von Corona «seine Rolle noch nicht gefunden», so Otfried Jarren. Der Medienforscher, Emeritus der Universität Zürich und Präsident der Eidgenössischen Medienkommission, des obersten Beratungsgremiums der Schweizer Regierung in Fragen der Medienpolitik, beklagte unter anderem in einem Beitrag für epd-Medien, ARD und ZDF präsentierten immer denselben, zu kleinen Expertenkreis und berichteten zu regierungsnah.

Jarren bekam für seine wohlwollende, differenzierte Kritik viel Beifall von der falscher Seite – sowohl von links außen als auch von rechts außen. Dagegen hielten sich diejenigen erstaunlich bedeckt, die am meisten gefordert wären, sich für einen besseren Journalismus zu engagieren. Eine Zusammenfassung von Jarrens vergleichsweise langem Text und weiteren kritischen Stimmen findet sich auch hier.

«Fast nichts ist alternativlos» – Klaus Meier und Vinzenz Wyss

Der Eichstätter Journalistik-Professor Klaus Meier hat in längeren Interviews in mehreren Regionalzeitungen auf Probleme der Corona-Berichterstattung aufmerksam gemacht, zum Beispiel im Kölner Stadtanzeiger darauf, dass Journalismus deutlich zu machen habe, dass «fast nichts» eindeutig und «alternativlos» sei.

Meier hat später zusammen mit dem Schweizer Medienforscher Vinzenz Wyss (ZHAW Winterthur) seine Analyse vertieft. Die beiden Journalistik-Experten bemängeln insgesamt fünf Defizite der Corona-Berichterstattung, darunter insbesondere den unreflektierten Umgang mit Zahlen.

Der «Zwang zum Bescheidwissen» – Bernhard Pörksen und Marc Brost

Bernhard Pörksen (Universität Tübingen) ist derzeit vermutlich der präsenteste und wohl auch von den Medien meistzitierte Kommunikationswissenschaftler – sozusagen der Christian Drosten unter den Medienforschern. Sowohl im Spiegel als auch in der Zeit nahm Pörksen die Gelegenheit wahr, sich zu den Folgen von Corona für die gesellschaftliche Entwicklung und den medialen Diskurs zu äussern. Der Beitrag für den Spiegel befasst sich mit der Verletzlichkeit unserer Zivilisation sowie ihrer Lernfähigkeit.

In einem weiteren Beitrag, den Pörksen zusammen mit dem Journalisten Marc Brost für die Zeit geschrieben hat, gehen beide Autoren stärker auf die Rolle des Journalismus ein. Sie sehen «eine dunkle Seite des Ganzen. Den Schnappatmungs-Journalismus. Zuspitzung und Dramatisierung. Und eine Rhetorik der Alternativlosigkeit, die es im Verhältnis zur Tragweite der von der Politik im ‚Schnell, schnell‘-Modus getroffenen Entscheidungen so auch noch nicht gegeben hat.» Sie wähnen Redaktionen in der «Helden»-, in der «Zynismus»- und in der «Harmoniefalle» und konstatieren einen selbstauferlegten «Zwang zum Bescheidwissen» von Journalisten, den sie beim Thema Corona angesichts der vielen Unwägbarkeiten und Unsicherheiten für unangemessen halten.

 

2. Weitere Diskussionsbeiträge

Das «Crowdsourcing» unter Medienforscher-Kolleginnen und -Kollegen hat weitere Beiträge zutage gefördert, die zugleich zeigen, wie breit aufgestellt die Medienforschung auch im Umgang mit neuen Themen wie Corona ist. Sie werden hier in alphabetischer Reihenfolge präsentiert.

Systemrelevanz und Systemversagen – Claus Eurich

Der Dortmunder Emeritus und Journalistik-Professor Claus Eurich beobachtet in der Corona- Berichterstattung schlichtweg ein Systemversagen des Journalismus.

Medialer Rettungsschirm für die Regierung – Daria Gordeeva

Eine erste Inhaltsanalyse zur Corona-Berichterstattung hat Daria Gordeeva, Doktorandin bei Michael Meyen an der Universität München, vorgelegt. Sie gelangt zu der Erkenntnis, die Kriegs- und Feindrhetorik der von ihr untersuchten Medien (Spiegel, SZ, FAZ und Bild), treibe uns – wie in einem richtigen Krieg – in die «schützenden Arme der Exekutive».

 

„Informatorischer Leerlauf“ – Michael Haller

Besonders gründlich hat Michael Haller die bisherige Corona-Berichterstattung analysiert: Der „informatorische Leerlauf“ mache es vielen Menschen „noch schwerer, die als existenzbedrohend erlebte Ungewissheit auszuhalten.“ Haller gibt eine Hilfestellung zum Funktionsverständnis der Medien – keine Gebrauchsanweisung, sondern einen «medienkritischen Ariadnefaden durch das Labyrinth der Meldungen, Meinungen und Prophetien».

Haller hat an der Universität Leipzig von 1993 an den Journalistik-Studiengang aufgebaut und über Jahrzehnte hinweg mit seiner Forschung, aber auch mit seinen Lehrbüchern und Fachzeitschriften („Sage & schreibe“, „Message“) den Diskurs über Journalismus geprägt.

Journalistische Qualität fördern – Matthias Karmasin

Mit der Presseförderung in Österreich, die coronabedingt noch dringlicher geworden sei, setzte sich Mathias Karmasin (Akademie der Wissenschaften, Wien und Universität Klagenfurt) auseinander – und forderte Fokussierung auf journalistische Qualität statt Gießkannenprinzip.

Fehlende Daten und die Dynamik der Krisen-Berichterstattung – Hans Mathias Kepplinger

Dem Mainzer Emeritus Hans-Mathias Kepplinger ist es „absolut unverständlich, weshalb das Robert-Koch-Institut nicht die Zahl der täglich getesteten Personen veröffentlicht – damit jeder nachrechnen kann, ob der Prozentsatz „positiv“ kleiner oder größer wird. Und warum sie nicht erklären, weshalb sie das nicht machen. Und dass kein Journalist darauf besteht, dass das gemacht oder gerechtfertigt wird.“ (E-Mail an den Verfasser vom 3.April 2020)

Kepplinger hat mehr als andere Medienforscher dazu beigetragen, die Dynamik von Krisen- und Skandalberichterstattung zu untersuchen. Auch die Corona-Berichterstattung lief bisher nach seinem Drehbuch. Was für ein Jammer, dass Journalisten seine Erkenntnisse kaum nutzen, um ihre eigene Rolle im Corona-Drama zu hinterfragen. Statt eines aktuellen Beitrags sei hier nochmals auf eines seiner letzten einschlägigen und grundlegenden Werke verwiesen:

https://www.halem-verlag.de/totschweigen-und-skLeandalisieren/

Online Teaching, Distance Learning – Larissa Krainer

Die Chancen und Risiken von Online-Lehre und -Lernen hat Larissa Krainer (Universität Klagenfurt) in ihrer Kolumne im Blog «Ein Fall für die Wissenschaft» bei derstandard.at ausgelotet. Sie befasst sich mit einer Herausforderung, der sich derzeit Abertausende Lehrer und Hochschullehrer sowie Schüler und Studenten zu stellen haben:

Auch der Blog selbst verdiente es, Nachahmer in den DACH-Ländern zu finden. Abwechselnd beteiligen sich Medienforscher aus nahezu allen österreichischen Hochschulen an diesem Blog – und machen so ihre Erkenntnisse für einen grösseren Kreis von Usern zugänglich.

Große Nachfrage nach konstruktivem Journalismus – Volker Lilienthal

In Abgrenzung zu Otfried Jarren verteidigt Volker Lilienthal (Emeritus für Journalistik, Universität Hamburg) in einem Interview die journalistischen Leistungen der Öffentlich-Rechtlichen, fordert aber auch mehr konstruktiven Journalismus.

Datenschutz angemahnt – Marlis Prinzing

In ihrer Medialab-Kolumne im Tagesspiegel hat Marlis Prinzing, Journalistik-Professorin an der Macromedia Hochschule in Köln, auf die Datenschutzprobleme hingewiesen, die entstehen können, wenn Telekommunikations-Unternehmen coronabedingt Forschungsstätten wie dem Robert-Koch- Institut angeblich anonymisierte Telefon-Daten zur Auswertung überlassen.

Desinformation und Verschwörungstheorien zu Corona – Thorsten Quandt

Der Medienforscher Thorsten Quandt (Universität Münster) gehört zu den ersten Wissenschaftlern, die mit empirischen Analysen zur Corona-Berichterstattung aufwarten – und zwar mit einer Studie, wie populistisch-alternative Medien Desinformation und Verschwörungstheorien streuen. Die Studie wurde in englischer Sprache publiziert. In der Süddeutschen Zeitung gab es dazu diese Zusammenfassung.

Berichterstattungs-Tipps zu Corona und internationaler Vergleich – Roland Schatz

Roland Schatz beobachtet seit Jahrzehnten mit seinem privaten Forschungsinstitut die Krisenberichterstattung der Medien zu Epidemien wie Rinderwahn, Vogelgrippe und SARS. Basierend auf dieser Erfahrung, hat der Chef von Media-Tenor (Zürich) als einer der ersten Medienexperten Redaktionen konkrete Tipps für den Umgang mit Corona geliefert.

In seinem neuen Newsletter „Corona Perspectives“ kritisiert Schatz zudem, dass sich die mediale Aufmerksamkeit ausserhalb der DACH-Länder bisher auf nur wenige Corona-Hotspots, also China, Italien, Spanien und die USA richte. Dagegen interessierten sich die Redaktionen viel zu wenig für diejenigen Länder, denen es bisher gelungen sei, die Zahl der Corona-Erkrankten und Toten niedrig zu halten. Das seien beispielsweise Estland, Finnland, die Slowakei, Slowenien und Singapur.

„Es gilt, auch Wissenschaft kritisch zu hinterfragen“ – Tanjev Schultz

Noch vor der Corona-Krise hat Tanjev Schultz, Journalistik-Professor an der Universität Mainz und zuvor leitender politischer Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung, zum Wissenschaftsjournalismus einen Essay verfasst, der im Angesicht des Virus geradezu dramatisch an Aktualität hinzugewonnen hat:

«Wer Journalismus und PR nicht verwechselt oder vermischt, gibt sich als Journalist nicht zufrieden mit der Rolle eines ,Übersetzers’ und ,Popularisierers’“, schreibt Schultz – eine Ermahnung, die wohl im derzeitigen Umgang mit Virologen und Epidemiologen wichtiger ist denn je, die aber voraussetzt, dass Redaktionen über entsprechend gerüstete Wissenschaftsjournalisten verfügen.

„Weg vom Verlautbarungsmodus“ – Holger Wormer

Ganz ähnlich wünscht sich Holger Wormer, der an der Universität Dortmund Wissenschafts- und Medizinjournalismus lehrt und zuvor als Wissenschaftsredakteur bei der Süddeutschen Zeitung gearbeitet hat, mehr Recherche und weniger Verlautbarungsjournalismus. Insgesamt stellt er im Interview mit dem PR-Magazin der Corona-Berichterstattung ein gutes Zeugnis aus. Gleichwohl rückt der etwas über 50-Jährige die Risiken zurecht: „Eine regelmäßige Autofahrt von Dortmund in meine alte Heimat München setzt mich rein statistisch vielleicht einem höheren individuellen Risiko aus als das Coronavirus.»

3. Zum Schluss: Herdentrieb im Kampf um Aufmerksamkeit? Offene Fragen

Es kann nicht in Abrede gestellt werden, dass die meisten Redaktionen derzeit unter schwierigen Bedingungen Ausserordentliches leisten. Von der Neuen Zürcher Zeitung bis hin zum RBB haben deshalb Medien auch ihre eigene Leistung in der Corona-Berichterstattung belobigt. Das allerdings reicht nicht aus. Es sind an den Journalismus weiterhin Fragen zu stellen, gerade weil er für Demokratien «systemrelevant» ist und seine Berichterstattung über Leben und Tod mitentscheiden kann. Einige solche Fragen habe ich zusammengetragen – sie richten sich an Sie alle als Empfänger dieses Mailings, an Medienverantwortliche ebenso wie an Medienforscher und -forscherinnen.

  1. Panikmache: Die Nachrichtenmedien, insbesondere die TV-Nachrichten kannten seit dem Ende des Karnevals wie nie zuvor fast nur noch ein einziges Thema. Haben die Medien mit ihrer Corona-Berichterstattung mehr Angst und Schrecken geschürt als nötig? Haben sie mit ihrer erstaunlich konsonanten Berichterstattung den Boden bereitet, die Politik der Bundesregierung als «alternativlos» erscheinen zu lassen? Ja, haben sie vielleicht sogar erst das Meinungsklima erzeugt, das den Shutdown «alternativlos» werden liess? Warum wurden und werden wir tagtäglich mit Zahlen von nachgewiesenen Infizierten und Todesopfern bombardiert, obschon den Wissenschaftlern die entscheidenden Zahlen und Daten zur Einordnung der Gefährlichkeit des Virus (z.B. Dunkelziffer, Grad der Durchseuchung) weiterhin fehlen? Ist Journalisten hinreichend bewusst, dass sie nicht nur über die Pandemie berichten, sondern auch mit ihrer Berichterstattung Wirklichkeit konstruieren?
  2. Quellenvielfalt und Quellenprüfung: Könnte es sein, dass auch in grösseren Redaktionen Wissenschafts- und Medienjournalisten fehlen, die angemessen für Quellenvielfalt sorgen sowie einordnen und kontextualisieren können, was ihnen von Virologen und Epidemiologen zugeliefert wird, und wie die Medien mit diesen Informationen umgehen? Warum waren es zunächst immer dieselben Experten, die exklusiv vor die Kamera geholt wurden?
  3. Transparenz der Berichterstattungs-Bedingungen: Ist der Journalismus, dem neuerdings (zu recht!) von höchster Stelle «Systemrelevanz» attestiert wird, hinreichend auf die Pandemieherausforderung vorbereitet? Wo und wann wurde um der eigenen Glaubwürdigkeit willen die Bevölkerung über Defizite der Berichterstattung in ähnlicher Weise informiert, wie wir über den Zustand unserer Krankenhäuser und der Bundeswehr anlässlich der Bereitstellung von Beatmungsgeräten und Schutzmasken informiert werden? Warum erfahren wir von den Leitmedien so wenig über die Bedingungen, unter denen sie berichten – insbesondere dann, wenn als Quellen PR genutzt wird oder wenn, wie wochenlang im Fall von China, Regierungspropaganda autoritärer Regime weiterverbreitet wird?
  4. Grenzen internationaler Vergleiche: Warum vergleichen Journalisten weiterhin international Corona-Tote und -Infizierte – obschon bekannt ist, dass die Zahlen auf unterschiedliche Weise erhoben werden und damit Vergleiche nicht aussagekräftig sind? Warum erfahren wir so viel über ganz wenige Länder (Hotspots: China, Italien, Schweiz, Spanien, USA) und so wenig über Länder, die bisher bei der Eindämmung von Corona «erfolgreicher» waren als wir? Wäre nicht gerade jetzt weniger Negativismus, mehr konstruktiver Journalismus gefragt?
  5. Wirkungsmacht von Bildern versus Risiko-Statistiken: Wissen Corona-Berichterstatter um die Übermacht ihrer Bilder (Beispiel: Leichentransporte mit italienischen Armeefahrzeugen in Bergamo) im Vergleich zur begrenzten Macht von Statistiken und Zahlen, welche helfen könnten, Risiken realistisch einzuordnen, zu bewerten und mediale Übertreibungen (wie z.B. bei SARS, BSE etc.) zu relativieren?
  6. Kontextualisierung von Rettungsprogrammen: Wo doch menschliches Vorstellungsvermögen von Milliarden und Billionen Euro begrenzt ist: Weshalb wird so selten versucht, die Fördersummen, mit denen derzeit die Regierungen um sich werfen, als liesse sich Geld in beliebiger Menge ungestraft drucken und vermehren, durch Vergleiche zu veranschaulichen und begreifbarer zu machen? 
  7. Selbstgestrickte Umfragen: Warum traktieren uns Redaktionen immer wieder mit selbstgestrickten Umfragen, deren Aussagewert gleich null und deren Unterhaltungswert fragwürdig ist? (Beispiele: Wer ist der beste Corona-Krisenmanager? Welchem Virologen vertrauen Sie am meisten?)
  8. Herdentrieb: Wie lässt sich die Selbstgleichrichtung der Corona-Berichterstattung in den Leitmedien bis zum Shutdown erklären? Welche Rolle spielen im Kontext der Corona- Berichterstattung, bei der es immerhin um Leben und Tod geht, Erkenntnisse der Verhaltensökonomie und der Sozialpsychologie zum Herdenverhalten von Menschen? Inwieweit werden auch Journalistinnen und Journalisten – trotz professioneller Ausbildung – zu Opfern von Bestätigungsverzerrung (confirmation bias) und Verfügbarkeits- Heuristiken (availability heuristics)?
  9. Journalismus als Frühwarnsystem: Haben wirklich nur die Bundesregierung und ihre Geheimdienste – wie etwa vom Spiegel (Heft 12/2020) behauptet – die Relevanz von Corona lange unterschätzt? Konnten sich die Auslandskorrespondenten in China im Vorfeld und während des Shutdowns von Wuhan in den deutschen Medien angemessen und rechtzeitig Aufmerksamkeit verschaffen? Weshalb wurde nicht bereits während des Karnevals mehr von den Medien gewarnt – und dieser noch nicht einmal nach den Terroranschlägen von Hanau und Volkmarsen abgebrochen?

     

    Ich hoffe, dass diese Fragen zu Reflexion und Selbstreflexion anregen, und dass wir gemeinsam die «richtigen» Antworten finden.

    Mein Dank geht insbesondere an Christian P. Hoffmann, Otfried Jarren, Larissa Krainer, Uwe Krüger, Volker Lilienthal, Klaus Meier, Bernhard Pörksen, Roland Schatz, Tanjev Schultz, Bartosz Wilczek, Holger Wormer und Vinzenz Wyss für Anregungen und Zulieferungen.

    Der Autor: Dr. Stephan Russ-Mohl ist emeritierter Professor für Journalistik und Medienmanagement an der Università della Svizzera italiana in Lugano (Schweiz) sowie Gründer des 12 sprachigen European Journalism Observatory. Er ist Medienkolumnist beim Tagesspiegel, beim Schweizer Journalist und bei Der österreichische Journalist sowie langjähriger Mitarbeiter der Neuen Zürcher Zeitung. Jüngste Buchpublikation: Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde. Warum die Digitalisierung unsere Demokratie gefährdet, Köln: Herbert von Halem Verlag, 2017

    Kontakt: stephan.russ-mohl@usi.ch

Logiken: medial, wissenschaftlich und in der Krise

Musste der Drosten denn auch noch zum STERN gehen? Ja, sag ich. Nein, sagt meine Freundin. Ja, weil er doch seriöse Informationen an die Frau und den Mann bringen muss, und der STERN hat viele Leser*innen. Nein, weil er doch wissen müsse, dass er dann verkürzt wiedergegeben wird mit „Ein Jahr keine Bundesliga“ (und das auch noch zum Weiterlesen erst einmal hinter einer Paywall, jetzt aufgehoben).

Wir streiten uns uns über Wissenschaft und mediale Logik und ich erinnere mich an meine Volontärsausbildung. Eine Kollegin, Volontärin bei Quick (Zeitschrift; 1948–1992), erzählte vom Witwenschütteln, wie es auch die BILD betreibe. Reporter*in an der Tür einer Trauernden: „Wir haben hier schlimme Fotos von dem Unfall, die wollen wir nicht veröffentlichen, könnten Sie uns nicht ein schönes Foto Ihres Mannes/Ihrer Tochter/Ihrer Mutter (Unzutreffendes bitte streichen) geben?“ Das war mir damals neu (ich kannte die Erzählung von Böll damals noch nicht) und ich war einigermaßen schockiert, wie es sich für einen idealistischen angehenden Journalisten gehört. Ich rede über die 1980er und 1990er Jahre. Eine Zeit, in der das Großraumbüro, in dem Volontärinnen und Praktikantinnen einer anderen Münchner Zeitschrift saßen, von den Redakteuren dort nur „Babystrich“ genannt wurde. Viele der heute leitenden und erfahrenen Redakteure – und auch die  Redakteurinnen – wurden so sozialisiert, heute schreiben die nunmehr älteren Männer feinsinnige Glossen, leise nach Rechts driftend. Oder sind Herausgeber, Verleger, Chefs. Mediale Logik. Sie wächst auf einem Nährboden. Wenn wir es nicht machen, machen es die anderen. So schlimm wie die BILD/B.Z./focus-online/achgut.de… (Unzutreffendes bitte streichen) sind wir doch nicht. Mediale Logik.

Ja, aber die Wissenschaft, die weiß das doch alles. Die braucht da nicht hingehen, sagt meine Freundin. Je nun, man kann auch Wissenschaftler*innen schütteln: Naja, wenn Sie uns kein Interview geben wollen, dann bleiben die Aussagen von Ärzte gegen Tierversuche halt unwidersprochen. Dann berichten wir halt, was der Klimawandelleugnerverein EIKE sagt. Dann kommt halt doch der Wodarg zu Wort. Warum schweigt eigentlich der Lungen(!!)arzt Köhler?

Schon fragt die Politik, wo denn die Stimme der organisierten Wissenschaft sei. Politische und mediale Logik. Keiner fragt bei Fachgesellschaften oder in den Chefetagen großer Organisationen. Da kommt (fast) nichts – fast, weil die Epidemiolog*innen (siehe Link) immerhin recht rasch reagiert haben. Die organisierte Wissenschaft aber schweigt viel. Kein gutes Zitat, das für eine knackige Überschrift („Zeile“) reicht. Da, die von Sender X haben den Drosten, der hat ne gute Zeile geliefert, dann brauchen wir von Medium Y einen anderen, den Kekulé, der ist auch für eine gute Zeile gut. In der Redaktion von Z: Guckt doch mal auf Twitter, da muss es doch noch andere geben, am besten schon mit akademischem Titel, aber gerne Außenseiter, kontrovers. Hier, der Augstein, der hat einen Experten auf Youtube gefunden. Echt wahr!

Deutschland im Shutdown. Das hatte sich abgezeichnet. Das ist dann eingetreten. Alle reiben sich die Augen: das ist historisch! Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik… Da müsste doch jetzt eine Forschungsorganisation oder Akademie was dazu sagen. Dinge richtig stellen. Organisationslogik. Telefonkonferenzen werden von Chefsekretärinnen und persönlichen Referentinnen geschaltet, die E-Mail-Postfächer quellen über, Konzeptpapiere als Word-Dokumente im „track changes mode“ werden hin- und hergeschickt, so oft geändert, dass die Farben psychedelisch wirken und man Angst haben muss, einen epileptischen Anfall nur vom Lesen zu bekommen. Die Chefs brüten, diskutieren, diktieren Bänder voll, Sekretariate editieren im Track Change. Wo ist die Stimme der Wissenschaft? Mediale Logik. Drosten soll Bundeskanzler werden oder Papst. Er wehrt sich tapfer, gibt Interviews und stellt richtig. Auf Twitter tauchen kurze Clips von ihm mit verwuscheltem Haar auf, er zwinkert. Wirklich, ja, ich hab’s selbst gesehen, er zwinkert. Hatten wir Rockstar schon? Groupies, männlich wie weiblich, hat er jedenfalls. Mich eingeschlossen. Mediale Logik. Organisationslogik. Wo ist die Stimme der Vernunft?

Vernunft und Krise. Die Logik der Krise. Zwei Thesen dazu, oder besser Prämissen, denn es sind eher Binsen als Thesen: (1) In der Krise suchen nahezu alle Menschen nach Sicherheit. (2) In der Krise greifen die meisten Menschen auf das zurück, was sie am besten können (denn das gibt eine innere Sicherheit).

Beispiel Riffreporter: Die haben Kooperation geübt, die haben Themenschwerpunkte geübt, die haben Einordnen geübt. Das können die und deshalb haben die ein super Angebot, was Informationen zu COVID-19 angeht. Ähnlich gut sieht es bei correctiv.org aus.

Beispiel herkömmliche Medien: Knackige Schlagzeilen, Angst machen, Helden aufbauen und deren Geschichten erzählen, einen eigenen „Dreh“ finden, zuspitzen. Ich bin außerordentlich unzufrieden und frustriert über das, was ich wahrnehme. Disclaimer: Ich habe mir aus Selbstschutzgründen in den letzten Tagen versagt, immer wieder die Themenseiten der Medien aufzurufen. Kann also sein, dass ich gerade jemand Unrecht tue. Aber was mir Tagesschau (App), die Story mit dem Drosten-Interview vom STERN und andere kurze Blicke in die traditionellen Medien zeigen, ist der Rückgriff auf eingeübte Praktiken: Ich habe den cooleren Experten, die steilere These, die bessere Heldin, den schlimmsten Bösewicht… Mediale Logik gepaart mit der Logik der Krise. Sonja Kastilan beschreibt die Situation ganz schön in der FAS (hinter einer Paywall, versteht sich).

Beispiel Wissenschaftsorganisationen: Auf den Webseiten sagt mir die Max-Planck-Gesellschaft: COVID-19? Ist nicht unser Thema, wir machen weiter wie immer (Aufmachertext über Schengen). Helmholtz sagt, wir sind wichtig und machen wichtige Sachen zu COVID-19. Leibniz greift Fragen der Menschen auf (Wer ist besonders gefährdet? Können Tiere COVID-19 kriegen?) und Fraunhofer macht es wie Max Planck. Die Logik der Krise. Fraunhofer und Max Planck kommen mir vor wie die katholische Kirche bei der Frage nach Frauen als Priester: Unser Erfolgsmodell ist seit 2000 Jahren, sich nicht um kurzfristige Trends zu kümmern. Wir können am besten „stur“.

Helmholtz macht Forschungsmarketing, Leibniz surft gut und geschickt auf der Agenda. Um das klar zu sagen: Beides ist legitim. Es ist in Ordnung, darauf hinzuweisen, was Helmholtz alles an Corona- und COVID-19-Forschung betreibt und unterstützt, vor allem, wenn eine sehr vorausschauende Studie dabei ist, die ein Helmholtz-Zentrum koordiniert. Und genauso ist es in Ordnung, das brandheiße Thema der Krise aufzugreifen und Fragen in Podcasts zu beantworten, wie Leibniz das tut. Und ganz bestimmt steckt hinter der Entscheidung von Max Planck und Fraunhofer auch eine Logik, aber die erschließt sich mir gerade nicht.

Organisationslogik. Dahinter stehen Menschen, Präsidenten und deren Stäbe. Auch diese Menschen greifen, so meine Beobachtung und Prämisse, auf das zurück, was sie am besten können, wovon sie sich Sicherheit versprechen. Das ist dann, in der Organisationslogik der Wissenschaftsorganisationen, die Sicherstellung der eigenen Existenz, das Beantragen von Fördermitteln und die Pflege der Reputation. In der Logik der Politik ist das das Fordern, das Beschließen oder, in der Opposition, das Fragen und Kritisieren, jeweils unter Zuhilfenahme der Medien. Was ich mir wünschte, hatte ich in einem vorherigen Blogbeitrag schon mal skizziert, ein Aufbrechen dieser Logiken in einer wirklich historischen Situation.

Wenn die Leopoldina und acatech in kurzen Abständen hintereinander Stellungnahmen veröffentlichen, ist das ein sehr guter Anfang, aber es ist immer noch zum großen Teil innerhalb der jeweiligen Logiken. Die Akademien haben extrem schnell reagiert, das ist schon mal gut und außerhalb der sonstigen Logik des langen Abwägungsprozesses. Aber sie geben eben „nur“ kluge Ratschläge, ohne die Möglichkeit, selbst Forschung zu steuern. Das können sie nämlich gar nicht. Das wäre Sache der Organisationen wie Leibniz, Max Planck, Fraunhofer und Helmholtz. Das wird auch passieren, wenn die letzten Track Changes in den Konzeptpapieren alle verschwunden und daraus Konsenspapiere und Anträge entstanden sind. Aus meiner Sicht zu spät. Ebenso wie die Verantwortlichen in den Medien zu spät verstehen werden, dass sie ihre Logik des wechselseitigen Überbietens überdenken sollten. 

Offenlegung: Ich arbeite in einem Zentrum der Helmholtz-Gemeinschaft und war früher einmal Pressesprecher der Leibniz-Gemeinschaft. 

"Versprich nie einen Weltuntergang, den du nicht halten kannst"